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ZEHN TAGE IN HONG KONG

Im März diesen Jahres war ich für zehn denkwürdige Tage in Hongkong.
Ein Erlebnis, das mich auch als Vielreisenden nachhaltig beeindruckt hat.

IKONISCHES HONGKONG

Es gibt Weltmetropolen, die so eigen- und einzigartig, so faszinierend sind, dass sie Einzug in die Popkultur gehalten haben.

[ c h i n e s e k i t c h e n ] ©serdar ugurlu 2025
[ c h i n e s e k i t c h e n ] ©serdar ugurlu 2025

Hongkong ist ganz ohne Zweifel eine solche Metropole.

In Animefilmen wie Ghost in a Shell oder Akira, aber auch in Kultfilmen wie Blade Runner sieht man viele visuelle Zitate, die ihren Ursprung in der Architektur und der Gestalt von Straßen und Märkten Hongkongs haben.

Das liegt daran, dass diese Stadt eine ganz eigene visuelle Ästhetik, eine ganz eigene „Gestalt“ und eine ganz eigene Atmosphäre hat, die man so in dieser Art in keiner anderen Stadt findet.

Hongkong hat seit jeher eine besondere Anziehungskraft auf mich. Wenn Gegensätze sich zu einer Stadt vereinen könnten, dann würde ganz ohne Zweifel Hongkong dabei herauskommen.

Hier treffen auf engstem Raum zwei Welten aufeinander und aus dem Produkt dieses „Mergers“ aus Ost und West entstand eine neue Welt, die neu und zugleich alt ist. Eine Welt, die sowohl den Westen als auch den Osten in sich trägt.

In manchen Stadtteilen ist mal der Westen prominenter, sichtbarer und dominanter, in anderen ist es der Orient, der alles andere in seinen Schatten stellt, aber niemals wird das eine vom anderen übertönt.

Hier ist beides existent, und aus dieserCo-Existenz entsteht etwas ganz Eigenes.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die besten, die schönsten und einnehmendsten Fotos immer dort entstehen, wo Gegensätzliches aufeinandertrifft. Wo Arm neben Reich, wo schön neben hässlich und wo alt neben neu existiert.

Diese Spannung wird in ihrer Konsequenz zu meinem kreativen Treibstoff …

In Orten wie diesen bin ich gerne Fotograf. Hier gehe ich mit offenen Augen durch die Straßen, Gassen und die Märkte.

Lasst mich euch erzählen, was ich in Hongkong erlebt und was ich dort an Schönem und an Hässlichem gesehen habe.

KULTURSCHOCKS IN HONGKONG

Ich einer Sache bin anders als andere Fotografen.

Wenn ich unterwegs bin, schaue ich mir am Ende des Tages die erbeuteten Fotos nicht en Detail an. Das mache ich nie.
Lenkt mich immer ab vom Hier und Jetzt …

Wenn ich tagsüber unterwegs bin und in die Stadt eintauche, denke ich gar nicht groß über die Fotografie nach.

Ich lasse mich treiben im Fluss des mich umgebenden Lebens.

Ich schaue mir alles ganz genau an, beobachte, was passiert, wie die Leute sich bewegen, was sie essen und trinken, wie der Verkehr fließt, und ganz besonders achte ich auf alles, was mir „auffällt“, was mich innehalten lässt, und wenn es sich fügt, dann mache ich ein Foto davon.

Hier in Hongkong hatte ich das erste Mal in meinem fotografischen Leben das Gefühl, dass ich irgendwie nicht angekommen sei. Die visuellen und sensorischen Eindrücke waren teilweise regelrecht überwältigend.

Hier prasseln so viele Eindrücke auf engstem Raum und mit einer Kadenz auf mich ein, dass ich zur „Laufzeit“ überhaupt nicht in der Lage bin, das Gesehene, Gehörte, Gerochene und Gefühlte zu verarbeiten, einzuordnen und zu verstehen …

Sensorischer Overload …

Alles hier ist so viel schneller, lauter, dichter und intensiver, als ich es aus meinem Leben hier in Deutschland gewohnt bin.

Die Drehzahl des Lebens hier in Deutschland liegt bei gefühlten hundert Umdrehungen pro Minute, in Hongkong liegt sie bei 2000 U/min!

Dieser Rhythmus will erstmal erkannt, dann gefühlt und schlussendlich verstanden werden.

Das ist mir die ersten vier Tage irgendwie nicht gelungen.

Das Seltsame daran ist, dass es nicht zu Unbehagen oder gar Frustration geführt hat.

Denn für mich war alles so anders, so fremd, dass ich nur mit einem Achselzucken feststellen musste, dass alles hier in Hongkong ganz und gar anders ist, als in meinem gewohnten Lebensraum.

DIE MÄRKTE HONG KONGS

Für den durchschnittlichen Mitteleuropäer wird die Andersartigkeit Hongkongs ganz besonders deutlich im Leben und Treiben in den vielen Quartiersmärkten.

Die Kakophonie von Marktschreiern, die sowohl live als auch aus der Konserve die Waren feilbieten, das Geräusch der Hackbeile, die Fleisch zurechthacken, der vorbeifließende Straßenverkehr, das Gelächter und Gezeter, das aus allen Richtungen auf einen einprasselt, ist so intensiv, dass ich zuweilen das Gefühl hatte, es in Händen halten, es regelrecht am eigenen Leib spüren zu können.

Nachtmarkt in Mong Kok

Hier ist die Ware so frisch, dass sie lebendig eingekauft und vor Ort in Lebensmittel verarbeitet wird. Vor aller Augen und mit einer Indifferenz, dass es einem wirklich die Sprache verschlägt.

Hier kommt das Fleisch frisch vom Schlachtbrett und das Hähnchen wird vor Ort verzehrfertig verarbeitet.

Das ist auch bei uns der Gang der Dinge, jedoch hüllt man bei uns den Mantel des Schweigens über den Tod des Tieres, das am Abend auf dem Esstisch landet. Bei uns kommt das Fleisch aus der Frischetheke.

Märkte sind immer ein dankbares Fotomotiv, hier pulsiert das Leben, man sieht die normale Bevölkerung einer Stadt, wie sie ihren Alltag gestaltet.

Man bekommt hier ein Gefühl für Land und Leute, sehr viel besser als in einem Luxushotel oder einer Mall.

Malls und Einkaufszentren sind ihrer Natur nach Bühnen, hier wird so getan, als ob, Märkte hingegen sind aus einem anderen Holz, einem ungeschminkten, harscheren, ehrlicheren Material. Hier tut man nicht so, man ist!

Überhaupt hatte ich während meines Besuchs das Gefühl, dass es Hongkong vollkommen egal ist, ob man es schön findet oder nicht.

Sie ist einfach, die hässlichen Ecken sind wirklich und wahrhaftig hässlich. Die modernen Ecken sind modern, die alten Ecken sind so richtig alt und verlebt. Die schönen Ecken sind schön.

Sie sind schön, nicht für uns, sie wollen nicht so erscheinen, sie sind es einfach.

Das macht die Stadt in meinen Augen sehr sympathisch, sie ist ihrer Natur nach unprätentiös. Bescheiden und uneitel.

Ich finde derlei Dinge immer attraktiver, je älter ich werde.

HONGKONGS DIVERSE QUARTIERE

Vor der Reise wusste ich über die sehr vielgesichtigen Stadtteile Hongkongs Bescheid. Mir war es wichtig, dass ich das Basislager in einem Stadtteil aufbauen wollte, der sich dadurch auszeichnet, dass es eine Fülle an alten Neonreklamen hat, dass er sich durch eine hohe Konzentration an alten 60er- und 70er-Jahre-Hochhäusern auszeichnet und schön „verlebt“ aussieht.

HOMEBASE MONG KOK

So wurde der alte Stadtteil Mong Kok zu unserer Heimatbasis. Und im Rückblick kann ich nur feststellen, dass die Wahl eine sehr glückliche Entscheidung gewesen ist. Mong Kok ist alt, es ist geschäftig und vor allem ist es ein sehr lokaler Stadtteil. Lokal heißt in diesem Zusammenhang, dass man hier lebt und arbeitet.

Mong Kok Station
Mong Kok Station

Mong Kok liegt sehr zentral im Norden der Halbinsel von Kowloon. Ein lokaler Geschäftsinhaber hat den Unterschied zwischen Mong Kok und dem edlen und geschäftigeren Stadtteil Hong Kong Island so beschrieben:

Monk Kok ist unser Brooklyn und Hong Kong Island ist Manhattan.

Für mich war es nach dem fünften Tag so, dass ich mich hier sehr willkommen und angekommen gefühlt habe.

Ich habe hier Fotos realisieren können, die ich mir schon vor Jahren ausgemalt und gewünscht hatte.

Wobei ich mit großer Trauer feststellen musste, dass kaltes, aber energiesparendes und somit sehr günstiges LED-Licht den warmen, weichleuchtenden und charakteristischen NEON-Reklamen den Rang abgelaufen hat.

Ich wünschte, ich wäre schon viel früher nach Hongkong geflogen.

FASZINIERENDES HONGKONG ISLAND

Dank des hervorragenden, günstigen und fotogenen Nahverkehrsnetzes in Hongkong kommt man innerhalb kürzester Zeit auch an die entlegensten Stellen, ohne dass es Krater in das Reisebudget schlägt.

Für mich waren die ikonischen Trambahnen Hongkongs das zweite Sehnsuchtsziel.

Die ikonischen Doppeldecker-Trams sind wunderbare Fotomotive in sich, und man kann sich hier schamlos entspannt durch Hongkongs Süden chauffieren lassen.

Am besten setzt man sich oben direkt vorne oder hinten an die Fenster und hält während der entspannten Fahrt die Augen auf, und ich garantiere, dass die Fotos nur so auf den Sensor fliegen!

Was ich hier an herausragenden Fotos mitgenommen habe, ist absolut herzerfrischend.

SOZIALER WOHNUNGSBAU

Die Bevölkerungsdichte in Hongkong ist extrem hoch. Die ehemalige Kronkolonie konnte aufgrund der geografischen Lage nicht in die Breite gehen, also wuchs man eben in die Höhe, und Wohnraum war und ist ein kostbares Gut in Hongkong.

Der soziale Wohnungsbau der sechziger und siebziger Jahre hat prägenden Einfluss auf die Gestalt, das Antlitz und die Wirkung Hongkongs.

Ich musste unweigerlich an Begriffe wie Tenement Oceans und an Songs wie Living in a Box denken.

Das Faszinierende hier ist, dass man von farbenfroh und fröhlich bis zu dystopisch die volle Bandbreite an narrativer Fotografie realisieren kann.

Ob mir das gelungen ist, weiß ich aktuell noch nicht.

Was ich aber ganz sicher weiß, ist, dass ich jede Minute meiner Zeit im Betonozean genossen habe.

DÖRFLICHES LEBEN INMITTEN VON HOCHHÄUSERN

Was mich nachhaltig beeindruckt hat, waren die beiden Fischerdörfer, die ich während meiner Zeit in Hongkong besuchen konnte.

Tai-O auf der Insel Lantau lag weit draußen und die Fahrt dorthin machte unmissverständlich klar: Hier befindest du dich in der Provinz.

Die Menschen hier leben in silbernen Pfahlbauten inmitten einer Marschlandschaft. Die Fischerei ist das, was die Menschen hier ernährt, man lebt vom und inmitten des Wassers.

Hier läuft alles auf eine langsam bedächtige Art und Weise ab. Die Leute leben hier so ganz anders als im hektischen Hongkong.

Das kleine, verschlafene Lei Yue Mun liegt im Südosten der Kowloon-Halbinsel und ist ein derartiger Gegensatz zum Gewusel Hongkongs, dass es eine Freude ist.

ESSEN UND TRINKEN IN HONGKONG

Die chinesische Küche ist eine Weltküche, man nimmt Essen hier sehr ernst, die Frische der zum Verzehr vorgesehenen Lebensmittel steht hier über allem. Fisch und Geflügel werden fast immer lebendig angeboten und vor Ort zum fertigen Lebensmittel verarbeitet.

Man findet überall kleine familiengeführte Garküchen und Dim Sum. Chinesische Dampfnudeln in tausend und einer Variation werden hier über den ganzen Tag feilgeboten und verzehrt.

Hier werden Dinge wie Pansen zu einer absoluten Delikatesse und für viele ist der Besuch bei der Pansenbude umme Ecke zum Tageshöhepunkt.

Auch wenn ich mich nicht dazu durchringen konnte, dort einzukehren, habe ich es mir dennoch nicht nehmen lassen, den Pansenkoch bei der Arbeit abzulichten.

STREET LIFE

Das Leben und Treiben inmitten der einzigartigen Architektur, der engen Straßen und der alten, verwitterten Betonberge ist ein einziges Füllhorn an fotografischem Potenzial, das nur darauf wartet, vom Fotografen ans Tageslicht geholt zu werden.

Genau das habe ich in meinen 10 Tagen in Hongkong versucht zu tun.

Aber bei aller Fotografie und bei aller sensorischer Überflutung von fremdartigen Eindrücken habe ich doch jede einzelne Minute meiner Zeit in Hongkong genossen.

Ich kann jedem nur wärmstens ans Herz legen, sich in das Leben und Treiben dieser einmaligen Weltmetropole einzubringen.

Ihr werdet mit Erinnerungen nach Hause kommen, die ihr lange in euren Herzen tragen werdet.

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